Auswahl der interviewten Personen

Frage:

Das Forschungsinteresse war auf vielfältigste Möglichkeiten ausgerichtet, ein langes, engagiertes Leben zu führen. Wie kommt eine solche Vielfalt zustande?

Antwort:

Unsere Antworten stützen sich auf die Befragung von 50 Personen; Repräsentativität beanspruchen sie nicht. Sie loten den Raum der Möglichkeiten aus, in dem sich in unserem Lande zwischen 1960 und heute eine Arbeits- und Beziehungsbiographie entfaltete. Sie schliessen unterschiedliche soziale Schichten und Berufsgruppen, aber auch die verschiedenen Regionen der Deutschschweiz ein. Zugewanderte nehmen sie ebenso ins Visier wie Einheimische, aber auch das Spektrum aller möglichen Bildungs- und Ausbildungswege – ohne berufliche Ausbildung nach Ende der Schulpflicht bis zum Universitätsabschluss. In diesen Lebenswegen manifestiert sich die soziale Mobilität unseres Untersuchungszeitraumes: Wir trafen auf 70jährige mit Doktortitel, die sich als Zwanzigjährige mit einem Berufslehrabschluss auf den Weg machten. Selbstverständlich gehört in dieser historischen Phase auch sozialer Abstieg zur Realität, zum Beispiel als Folge des Bedeutungsverlustes ganzer Industriebranchen wie der Textilwirtschaft. Auch Absteiger gehören zu unserer Auswahl.

Die Projektbeteiligten hatten sich immer wieder mit der Vermutung auseinanderzusetzen, lange Engagierte seien in aller Regel beruflich Privilegierte. Das herrschende Narrativ sieht vorwiegend «Berufene» wie Künstler*innen, Anwält*innen, Politiker und Beratende mit 70 noch im Erwerbsleben. Gern stellt man sich Personen mit glänzendem Leben als lang tätig vor. Oder am andern Ende des Spektrums bedauernswerte Arme (vor allem Frauen), die mit Altersrente und Ergänzungsleistungen auf keinen grünen Zweig kommen und sich etwas Butter aufs Brot zuverdienen müssen.

Die schweizerische Arbeitskräfte-Erhebung SAKE lehrt uns, dass in der Berufsgruppe «Landwirte und Gärtner» am längsten Erwerbsarbeit geleistet wird. Also in einem Bereich, wo Körpereinsatz unerlässlich ist. Das spricht klar gegen das Narrativ vom körperlichen Verschleiss, der in den Ruhestand zwingt. Fakt ist, belegt durch die AHV- Statistik, dass Frauen die Arbeitswelt öfter vor der offiziellen Verrentung verlassen und seltener als Männer jenseits von 64 noch Erwerbsarbeit leisten.

Die Frage, ob im Projekt – trotz sorgfältigem Einbezug etlicher Personen mit geringem Einkommen und wenig formaler Bildung – einfach vom Schicksal Begünstigte in den Fokus gerieten, war oft auch Thema interner Diskussionen unter den Forschenden. Ein Fazit ist, dass vieles im Lauf eines Lebens zufällig passiert; unerwartete Wendungen ereignen sich in einfachen Verhältnissen wie an der Goldküste. Es läuft definitiv kein mechanisches soziales Programm ab.

Ein anderes Fazit könnte lauten: Die Interviewten sind wirklich privilegiert. Weil sie mit über 70 zufrieden tätig sind und gern davon erzählen.

Dezember 2023/ ema

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